Nun hab ich wieder Internet und möchte zum Streik der GDL auch noch meinen Senf abgeben. Bevor sich hier jemand aufregt: Es geht mir hier keineswegs darum, zu beurteilen, ob der Streik nun toll war oder nicht. Mir sind einige Gedanken durch den Kopf gegangen, die ich nun nicht mehr länger für mich behalten möchte.
Ja, ich bin enttäuscht von vielen. Das heisst keinesfalls, dass ich nun Freundschaften kündige oder mit einigen nicht mehr rede.
Diverse Menschen in meinem Umfeld, darunter auch Freunde und Bekannte, haben mich während der letzten Tage ziemlich enttäuscht. Ich habe gesehen, wie miteinander umgegangen wird, was sich Menschen an den Kopf hauen. Hier nun mein Standpunkt zu Gewerkschaften: die meisten wirken auf mich inzwischen, wie große Versicherer, aber kaum noch mehr. Die GDL ist da ein wenig anders und nutzt ihre legitimen Mittel. Ich sage an dieser Stelle nicht, ob ich die Ziele des aktuellen Arbeitskampfes wichtig oder unwichtig, richtig oder falsch, gut oder böse finde. Es spielt für mich keine Rolle, denn ich bin kein Eisenbahner. Für die spielt es eine.
Wenn ich sehe, wie alle gegen alle aufeinander losgingen, aber kaum jemand sieht, dass die Politik seit Jahren massiv versagt hat und weiter versagt, insbesondere, was die ehemals staatlichen Unternehmen Post und Bahn angeht. Es schimpfen GDL-Mitglieder gegen Bahn und EVG, EVG-Mitglieder gegen GDL-Mitglieder, es wird schadenfroh über die betroffenen Fahrgäste gelästert, die durchaus zurecht genervt sind, sich wiederum aber auch wie die letzten Arschlöcher benehmen. Da wird Claus Weselsky zum Arschloch der Nation abgestempelt, seine Rufnummer veröffentlicht, eine Mistgabelaktion ist nicht auszuschließen. Warum? Weil er als Chef der Gewerkschaft seinen Job macht. Ich persönlich muss Herrn Weselsky nicht mögen, seine Art und vielleicht seine Sturheit schon gar nicht. Er macht einen Job. Er ist ein ganz normaler Mensch. Auch er hat Persönlichkeitsrechte. Zu guter Letzt lese ich gerade, dass nun sogar schon ein Lokführer geschlagen wurde. Mit Folgen. Willkommen in der „zivilisierten“ Welt. Affen könnten es kaum schlechter machen.
Ein Lokführer, der bei der EVG organisiert ist, twittert, was „man hat durchblicken lassen“ und wird dafür von allen Seiten angegangen. Gehts noch? „hat durchblicken lassen“ ist für mich eine unbestätigte Information, ein Gerücht. Und das stand da auch. Schon kommen Leute, die ihn beleidigen, vermutlich auch bedrohen etc…
Muss das wirklich sein? Warum regt sich die GDL so darüber auf? Weil sich Fahrgäste so evtl wirklich besser auf den Streik hätten/haben einstellen können? Sind jetzt Fahrgäste die Feinde der Gewerkschaft? Wenn das wirklich so ist, können wir den Laden (eigentlich dann beide Läden) auch dichtmachen.
Wenn sich 2 Gewerkschaften bekämpfen, freut sich der Arbeitgeber, die Mitglieder sollen davon profitieren? Wie denn?
Warum regt sich niemand in diesem Zusammenhang darüber auf, was der Bund für Renditeforderungen stellt, oder dass die Politik gut bezahlte Pöstchen schafft für ausgediente Politiker? Eine sogenannte Arbeiterpartei, die die ganze Sache mit zu verantworten hat, will als Heilmittel Grundrechte beschneiden, für die sie selbst vor langer Zeit mal gekämpft hat.
Fahrgäste bedrohen Bahnpersonal, obwohl sie froh sein sollten, dass es dieses Personal überhaupt gibt. Was die Lokführer angeht: Nein, die drücken nicht nur ab und zu ein Knöpfchen. Es ist sicherlich ein wirklich schöner Beruf (finde ich zumindest), aber ganz so einfach ist das dann nun doch nicht, liebe Fahrgäste. IHR würdet so einen Zug nicht sehr weit bewegen können, abgesehen von den Sicherheitsrisiken, die ihr unbewusst in Kauf nehmen würdet. Dann schaut euch die Verantwortung an, die so ein Lokführer trägt, bei Schichtdienst, Überstunden, Tag und Nacht, ständig hochkonzentriert.
Informiert euch gefälligst, bevor ihr diese Leute als „Knöpfchendrücker“ diskreditiert.
Ja, auch mich hat der Streik genervt, weil ich mich in überfüllte Bahnen quetschen musste. Als ich dann aber sah, wie sich Leute da so benehmen, wir IHR ALLE miteinander umgeht, habe ich mir meine Gedanken gemacht. Es ist echt irre, was in diesem Land so abgeht. Und über Medien lasse ich mich an dieser Stelle nicht auch noch aus. Lest doch einfach mal „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und danach mal diverse „Zeitungen“ der letzten Tage.
Und bevor ihr demnächst wieder über Leute herzieht, die ihr RECHT wahrnehmen, geht doch einfach mal selbst auf die Straße und protestiert gegen die Politik, die dazu geführt hat. Und setzt euch vielleicht auch gleich mit ein für die, die nicht einfach die Arbeit niederlegen können, weil dann menschen sterben könnten.
In diesem Land ist eines verloren gegangen: die WERTSCHÄTZUNG für Arbeit. Das tut weh. Ob wir das wohl wieder in Ordnung bringen können?
An dieser Stelle möchte ich mich bedanken, bei allen Menschen, die sachlich blieben, die Geduld wahrten, mich zur Arbeit und zurück brachten, im Schichtdienst rund um die Uhr für meine Sicherheit sorgen, bei denen, die mir die Augen öffnen, ohne sie mir auszustechen, bei allen, die eben nicht nur an sich selbst denken.